Erfahrungen mit dem Klimawandel im westafrikanischen Sahel und in Europa

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Natürlich leiden wir alle in diesem Sommer in Europa unter der lang anhaltenden Hitze. Sorge aber muss uns die allzu lange Trockenheit bereiten. Die Landwirte melden Rekordverluste bei der Ernte. Sie fordern Hilfe vom Staat. Aufgeschreckt aber haben uns die Berichte des Potsdam-Instituts für Klimaforschung über eine Studie eines internationalen Teams von Wissenschaftlern zum Klimawandel. Sie warnen vor einer Heißzeit. Selbst bei Einhaltung des Pariser Klimaabkommens könnte sich die Erde von alleine weiter erwärmen. Sind wir mit diesem Sommer 2018 schon mitten drin im Klimawandel? 

In den Medien wird diese Frage so reflektiert: „Klimawandel: Zukunft im Schwitzkasten - Der heiße Sommer führt uns die Folgen des Klimawandels vor Augen.“ So lautet die Überschrift des Artikels von Stefan Schmitt in „Die Zeit“, digitale Ausgabe 1.8.2018. Der Artikel fragt: „Was sehen wir in diesem Hitzesommer? Natürlich verdorbene Ernten auf verdorrten Äckern. Natürlich eine extrafrühe Weinlese. Natürlich halb leere Flüsse. Dazu Menschen mit Schwächeanfällen und Kreislaufzusammenbrüchen. Wir sehen aber auch etwas höchst Unnatürliches: die Erderwärmung bei der Arbeit.“ Der Artikel endet mit der Frage: „Was wir in diesem Hitzesommer sehen?“, und antwortet uns: „Wir sehen die Zukunft.“

Wir erinnern uns an unsere Erfahrungen der viel zu langen „trockenen“ Regenzeiten (Juli bis September) in den Jahren 1983-1985 im Sahel Westafrikas, im Dorf Dagai im Extremen Norden Kameruns. In einem Brief vom 7.7.1984 aus Dagai schrieben wir:

 ‚Die Hirse vertrocknet, schicke uns Regen, führe die Wolken zurück.’ Singend und tanzend zogen gestern Abend die Jugendlichen mit diesem Lied durch das Dorf und sangen auch vor unserer Tür. Sie baten uns um einen Eimer voll Wasser und begossen sich damit gegenseitig. Tanzend und singend ging es dann weiter zum nächsten Gehöft. Es war schwül an diesem Abend in Dagai, Wolken waren aufgezogen, aber es regnete nicht. Wir warteten noch immer vergebens auf den „großen“ Regen. Den ganzen Monat Juni hatte es kaum geregnet. Das ganze Dorf leidet unter Wassermangel. Die Hirse auf den Feldern, schon ½ Meter hoch, vertrocknet auf den Feldern, die Halme knicken um. Alle fürchten eine große Hungersnot durch extremen Ernteausfall, noch stärker als im Jahr davor.

Während im Dorf die Erwachsenen deprimiert auf die vertrockneten Hirsefelder starrten, ergriff die Jugend mit ihren Liedern, die sie vor jedem Gehöft sangen, die Initiative: zeichenhaftes Handeln und zeichenhaftes Gebet in auswegloser Lage. Aber wen riefen die Jugendlichen mit ihrem Lied auf, dass er „den Regen schickt, die Wolken zurück führt“?

Schon die letzte große Trockenperiode im Sahel 1973 hatte erhebliche Ernteausfälle und ein weiteres Vordringen der Wüste zur Folge. Die Experten stellten deshalb 1984 die Frage, ob sich aufgrund eines weltweiten Klimawandels die Trockenperioden im Sahel verstärken, oder ob  es sich nur um die normalen Klimaschwankungen handelte. Allgemein gilt die Sahelzone Afrikas wegen der immer wieder auftretenden extremen Klimaschwankungen als eine „Stressregion, in der ständig mit der Katastrophe gerechnet werden muss.“ Die ersten Studien des ‚Club of Rome’: „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) waren uns bekannt, als wir 1976 in den Sahel kamen. Die Warnungen dieser Studie in den gemäßigten Industrieländern zu lesen ist etwas anderes, als die Auswirkungen der Trockenheit vor Ort selber zu spüren. 

Sehen wir jetzt im trockenen Sommer 2018 in Europa „die Zukunft“, verursacht durch den Lebensstil der westlichen Industrieländer? Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber beklagte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 15. Mai 2018 das Irrsinnstempo, mit dem die Welt auf die Katastrophe zusteuert: „Der Mensch verändert den Planeten wie eine riesige geologische Kraft, und die Erwärmung der Erdoberfläche vollzieht sich rasanter als je zuvor in der Geschichte unserer Zivilisation. Das ist nicht mehr vergleichbar mit dem historischen Wandel von Eiszeit zu Warmzeit zu Warmzeit - wir beamen uns gerade in eine Heißzeit.“ Schellnhuber erklärt weiter: „Je klarer wir aber erkannten, dass der Klimawandel ein existenzielles Problem ist - das nicht wieder verschwindet, das tief greifende Auswirkungen hat, und das nur noch dann halbwegs bewältigt werden kann, wenn wir die komplette Dekarbonisierung der Weltwirtschaft in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten vollziehen -, umso lästiger wurde die Debatte der Politik und der Gesellschaft. Es sank die Lust, es wuchs das Gruseln, aber nicht das vor den Risiken des Klimawandels, sondern vor den Maßnahmen zu dessen Begrenzung. Schließlich erfordert die ‚große Transformation zur Nachhaltigkeit’ eine historisch einzigartige internationale Kraftanstrengung. Da schalten die allermeisten lieber um, etwa zur unsäglichen Migrationsdebatte.“

Natürlich üben andere Wissenschaftler auch Kritik an diesen alarmierenden Studien. Der Klimaexperte Reto Knutti von der TH Zürich nennt diese Studie eine „recht unkonkrete“ Synthese von Einzelstudien. Könnten wir also doch Entwarnung melden und so weiter leben wie bisher?

1984 im Sahel waren wir dankbar für die Geldspenden von unseren Gemeinden in Deutschland (auch von der EFG Leverkusen!), die wir über die Mission (EBM) für den Ankauf von Hirse erhielten. Damit konnte der Hunger der Menschen im Sahel gelindert werden. Außerdem konnten wir einen Hirsespeicher in Dagai bauen, finanziert von „Brot für die Welt“, um Hirse für Notzeiten besser zu lagern und um unabhängiger zu werden von den Wucherpreisen der Händler auf den Märkten.

Noch dringender aber waren eigene, nachhaltige Aktionen vor Ort: Schon seit 1980 begannen wir mit dem Dorfentwicklungsprojekt „Grüne Sahelzone“, d.h. der Baumpflanzaktion zum Erhalt der wertvollen Umwelt und der Abwehr der Verwüstung. In den Ferienmonaten Juli und August pflanzten Schüler aus Dagai die Bäume und verdienten sich damit Geld für ihre Schulbildung. Dazu aus einem Brief vom 18.7.1984 aus Dagai:

Jeden Morgen kommen etwa 20 Schüler, um Bäume für die Aktion „Grüne Sahelzone“ zu pflanzen. Auf dem Markt, am Fluss und an den Wegen entlang werden Laubbäume gepflanzt. Auch viele Leute aus dem Dorf bitten um Laubbäume, die sie um ihre Gehöfte pflanzen wollen. Das ist das Beste, was passieren kann, dass die Bevölkerung Bäume pflanzen will, auf die sie selbst aufpasst! Einige Schüler füllen jetzt Plastiksäcke mit Erde, damit wir Laubbäume aussäen können für das nächste Jahr.

Sahel Vert Schüler pflanzen Bäume 2

Der damalige Schüler Raymond Todou hatte uns in den 1980er Jahren geholfen, in den Sommerferien diese Baumpflanzaktion der Schüler in Dagai zu organisieren. Heute ist er nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung Leiter der Station Dagai und führt im Rahmen seines Dorfentwicklungsprojekts auch diese Aktion „Grüne Sahelzone“ weiter fort.

Regenmacher und Evangelist

Doch wir wollten 1984 auch wissen, welche traditionellen Überlebensstrategien in Dürrezeiten der Kultur der Kola in Dagai zur Verfügung standen. Die Völker im westafrikanischen Sahel hatten ihre Wetterexperten, die „Regenmacher“, wie die westlichen Ethnologen diese Spezialisten für Regen und Trockenheit nannten. Der Evangelist Jacob Zouga führte Dawai Lakwai, einen alten blinden Mann, zu uns und stellte ihn als den Regenmacher der Kola in Dagai vor. Lakwai erzählte uns, dass er früher im Volk der Kola in Dagai zuständig war für diese religiöse Zeremonie in Krisenzeiten der Dürre. Auf die Aufforderung des Chefs der Kola hin holte er früher die von ihm aufbewahrten drei Steine hervor (einen schwarzen, roten und weißen Stein), über die er ein religiöses Opfer darbrachte und ein Gebet zu Gott (Bayldav) um Regen sprach. Seine Interventionen hatten (fast) immer Erfolg. Seitdem aber die christliche Mission 1958 nach Dagai kam und der Chef der Kola sich islamisieren ließ, wird diese Tradition der Kola nicht mehr praktiziert.

 

In dieser kritischen Zeit anhaltender Trockenheit im Juli 1984, rief der Chef der Kola, weil er die Verantwortung für das Überleben seines Volkes hatte, alle Menschen zum Gebet um Regen auf. Die Christen, die Muslime und die Anhänger der traditionellen Religion sollten auf je ihre Weise zu Gott um Regen beten. Auch wir Christen versammelten uns am Sonntagnachmittag in der Kapelle in Dagai. Während wir beteten, begann es zu donnern. Als wir nach dem Gebet nach Hause liefen, regnete es in Strömen, so dass wir alle nass wurden. Gott in seiner Güte hatte die Gebete aller Religionen in Dagai erhört. 

Kam uns Christen in Europa der Gedanke, diesen Sommer mit seiner Hitze und vor allem mit seiner Trockenheit zum Thema unserer Gottesdienste, Predigten oder gar Gebetsversammlungen zu machen? Vielleicht leben wir in Europa, anders als der sich von der Subsistenzwirtschaft ernährende Bauer im Sahel, viel zu abgesichert, als dass die Trockenheit oder die alarmierende Studie der Klimaforscher uns aus der Sicherheit unserer technischen Instrumentalisierung der Natur hätte aufschrecken können. Im Sahel 1984 war die Bevölkerung durch den Ernteausfall direkt vom Hunger betroffen. Uns in Europa trifft der Ernteausfall 2018 nicht direkt, außer natürlich die betroffenen Landwirte. Wir delegieren die Verantwortung an die Regierungen, die den Landwirten einen Ausgleich ihrer Verluste zahlen sollen. Von den Klimaexperten erwarten wir klarere Prognosen und Lösungen für die Zukunft. Noch einmal Schellnhuber: „Aber jeder sollte verdammt noch mal tatsächlich etwas beitragen. Wir haben uns alle viel zu lange aus der Verantwortung gestohlen. Ja, wir müssen alle Kohlekraftwerke schließen, ja, Deutschland muss auf 100 Prozent erneuerbare Energien gehen, aber Sie und ich können von heute auf morgen beschließen, kein Fleisch mehr zu essen und keine Langstreckenflüge mehr zu machen.“ Klimaforscher als Propheten einer neuen, diesmal vom Lebensstil in den westlichen Industrieländern verursachten Apokalypse? 

Was hat das Evangelium mit dem Klimawandel und der Zukunft unseres Planeten zu tun? In der Trocken- und Hungerzeit im Sahel Mitte der 1980er Jahre fragten wir uns, wie wir über die Zusage Gottes (1.Mose 8,22) an uns Menschen predigen könnten: „Solange die Erde besteht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ 

Jetzt 2018, angesichts der alarmierenden Studien der Klimaforscher über die Zukunft unseres Planeten, sind die Prediger des Evangeliums ganz neu herausgefordert. Denn der Entschluss zum solidarischen Handeln im Augenblick von Gefahren, die nur durch kollektive Anstrengungen gebannt werden können, ist nicht nur eine Frage der vernünftigen Einsicht. Aber der aufgeklärten Vernunft unserer westlichen Kultur sind die religiösen Bilder zum ethischen Handeln („Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“) abhandengekommen. Das ist so, nicht nur bei Kirchenfernen, sondern gleichermaßen auch bei vielen Kirchenbesuchern. Der Prediger des Evangeliums steht deshalb vor der nicht leichten Aufgabe, Angesichts der Bedrohung der Zukunft eine Sprache zu finden, die möglichst viele zu einer neuen Solidarität zusammenführt.

Edgar und Hildegard Lüllau