„Auf! Hinter mir her!“ Matthäus 4,19-20

Es gibt auch andere Worte für den Begriff Konversion: Bekehrung, Umwandlung oder Glaubenswechsel. Das Motto der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ war eine Forderung nach Konversion, einer Umwandlung von Rüstungsgütern in zivile Güter. Entscheidungen des „Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) und der Gerichte in Sachen Asyl und Glaubenswechsel vermeiden das biblische Wort Bekehrung und benutzen das Wort Konversion, weil es auch andere Glaubenswechsel gibt als nur zum Christentum. 

Vor kurzem (1.4.2019) warf der Präsident des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts in einer Zeitung den Kirchen vor, Flüchtlingen aus „asyltaktischen Gründen“ inflationär Taufzeugnisse auszustellen. Das Gericht müsse dann in einem aufwendigen Verfahren klären, ob z.B. bei Iranern tatsächlich eine Abwendung vom Islam und eine „identitätsprägende“ Hinwendung zum Christentum erfolgt sei. Die Gerichte müssen diese Klärung durchführen, wenn sie z.B. wegen einer solchen Entscheidung des BAMF angerufen werden:  
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Die Kirche kritisierte die Haltung der Gerichte. Diese hätten zwar „eine gewisse Berechtigung“ bei der Überprüfung des Religionswechsels, so die Kirche, „allerdings darf daraus kein Glaubens-TÜV  werden.“

Konversion, so ist in einem Entscheid des BAMF zu lesen, bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen. Konversion ist also Folge eines Prozesses kritischer Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten. Gebet2 16 9 HD1080

Dieser im heutigen Europa der Religionsfreiheit und Informationsfreiheit entwickelte Begriff von Konversion mag für uns hier ausreichend sein. Wie aber steht es in einem Land, in dem der gebürtige Muslim keine Freiheit hat, einen christlichen Gottesdienst öffentlich zu besuchen oder sich eine Bibel zu kaufen? Er könnte wohl nur heimlich mit vertrauten Freunden über einen Glaubenswechsel sprechen und mit ihm vielleicht in einer der verbotenen Hauskirchen einen Gottesdienst erleben. Er ist sich aber darüber im Klaren, wie schwerwiegend es für sein Leben sein kann, wenn diese Hauskirche „auffliegt“. 

Wenn nun aber ein Muslim, der sich in einer solchen Hauskirche erst vor kurzem zu Christus bekehrte, fliehen musste, weil Mitglieder seiner Hauskirche verhaftet wurden, wird er in Deutschland seine Bekehrung vor dem BAMF oder dem Gericht so erzählen können, dass sein Erleben dem vom BAMF entwickelten Begriff von „Konversion“ gerecht wird?

Die Frage, welche Maßstäbe das BAMF und die Gerichte anwenden, um die Hinwendung eines Menschen zum Christentum zu klären, könnte uns als Gemeinde bewegen, nach unseren eigenen Maßstäben der Bekehrung zu Christus zu fragen. Diese Situation unserer iranischen Christen könnte uns anregen, gemeinsam mit ihnen über das Zentrum unseres Glaubens nachzudenken, d.h. über den Anfang des Glaubensweges. Wir könnten mit ihnen die Bibel lesen, um von Jesus selbst zu lernen, was eine Bekehrung als Anfang der Nachfolge Jesu bedeutet. 

Dabei sollten wir nicht unbedingt mit den Briefen des Apostel Paulus beginnen, von denen selbst Petrus schrieb, dass einige Dinge, die er schrieb, schwer zu verstehen seien (2.Petrus 3,16).

gluehbirne 4 3 XGAIch empfehle mit dem ersten Buch des NT, mit dem Evangelium nach Matthäus zu beginnen, also den Erzählungen von Jesus, die wir noch heute wie Predigten der frühen Christenheit hören und lesen könnten. Diese Erzählungen von Jesus werden dem Hörer zu einem ihm betreffenden Wort Gottes, wenn er z.B. den Ruf Jesu an die ersten Jünger (Matthäus 4, 19-20) wie einen Anruf Gottes an ihn selbst zu hören vermag: Jesus wandert am Meer Galiläas entlang, sieht die Fischer Petrus und Andreas bei der Arbeit und sagt zu ihnen: „Auf! Hinter mir her!… Sie aber ließen sofort ihre Netze liegen und folgten ihm nach.“ Noch kürzer wird die Berufung der Brüder Jakobus und Johannes erzählt, die im Boot die Netze ihres Vaters flickten: „Und er rief sie. Sogleich verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten ihm nach.“ (Verse 21-22). Das ist Bekehrung, das ist eine Konversion. Mehr braucht am Anfang dazu nicht gesagt werden.

Konversion im Sinne Jesu beginnt nicht mit einer kritisch-theoretischen Auseinandersetzung mit noch fremden Glaubensinhalten. Konversion ist, auf den Anruf Gottes hin, der mich trifft, aufstehen, alles Bisherige liegen lassen und hinter Jesus hergehen (Nachfolge).

Ein Einzelentscheider des BAMF schreibt in seiner Ablehnung, dass es ihm kaum vorstellbar sei, dass ein Zeitraum von nur drei Monaten ausreichend sein könnte, um sich abwägend mit fremden Glaubensfragen auseinanderzusetzen und zu einer neuen Identität zu gelangen. Vielleicht liegt hier in der Tat ein grundlegendes Verständigungsproblem. Im allgemein kirchlichen Bewusstsein Europas ist das Verständnis für ein „Christwerden“ als Anfang der Nachfolge Jesu immer mehr verloren gegangen. Bei einer Anhörung schilderten Asylbewerber von ihrem entscheidenden Erlebnis in der Hauskirche. Sie wurden von den Teilnehmern gefragt, ob sie sich jetzt für Jesus entscheiden wollten. Sie sagten Ja und sprachen ein Gebet der Übergabe des Lebens an Jesus. Sie nannten dies Gebet ihr „Errettungsgebet“. Der Einzelentscheider aber übergeht in seiner Begründung der Ablehnung dieses in der Gemeinschaft der Kirche gesprochene Gebet ihres Herzens und stellte sachlich fest: Sie sind nicht „identitätsprägend zum Christentum übergetreten“.

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Die fast ärgerliche Kürze, mit der in den Evangelien der Anfang der Nachfolge dargestellt wird, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei diesem Anfang nicht blieb und nie bleiben kann. Immer, wenn in den Evangelien von Jesus erzählt wird, tauchen auch die hinter ihm hergehenden Jünger auf, bis in die dramatische Passion hinein, bis zum Kreuz und dem Erstaunen über das leere Grab, bis schließlich der Auferstandene sie vom Berg in Galiläa in alle Welt sendet.

Diese vier ersten Nachfolger, die dem Ruf „Auf! Hinter mir her!“ Folge leisteten, sind mit dem um Jesus sich sammelnden Volk auf einen Berg gestiegen. Sie waren die ersten Hörer der Bergpredigt Jesu (Matth. 5-7). Hier hörten sie, welchen Weg sie hinter Jesus her gehen sollten. 

In den Hauskirchen im Iran werden die Evangelien bevorzugt gelesen. Bei seiner Anhörung berichtete ein Iraner, wie sein Freund ihm von seinem Weg, den er gefunden habe und der ihn gerettet habe, erzählte und dabei ein Wort Jesu aus der Bergpredigt zitierte (7,17): „Ein fauler Baum bringt schlechte Früchte.“ In der Übersetzung vom Persischen ins Deutsche wurde es so aufgeschrieben: „Ein schlechter kreuz vor dunkler wolke 4 3 XGABaum gebe kein gutes Obst.“ In der Tat, die Bergpredigt ist identitätsstiftend für die Nachfolger Jesu, denn das „Auf! Hinter mir her!“ führt direkt zur Bergpredigt, bis heute. Das ist der Anfang der Nachfolge.

Wenn wir heute mit unseren iranischen Christen, die bald vor Gericht über den Anfang ihres Glaubens an Jesus erzählen sollen, die Evangelien von Jesus lesen würden, dann könnten auch wir noch einmal an unseren eigenen Anfang des Glaubens erinnert werden. Wie identitätsstiftend ist uns heutigen Christen die Bergpredigt? Diese Frage könnte für uns ein Anstoß werden, selbst wieder mit dem Anfang anzufangen.

Edgar Lüllau