In Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen wird die Religionsfreiheit definiert: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.“

Diese 1948 am Ende des Zweiten Weltkrieges verkündete Erklärung der Menschenrechte ist eine direkte Reaktion auf den Zivilisationsbruch, der Verachtung der Menschenrechte. In diese Formulierung ist auch die Erfahrung der nordamerikanischen Kirchen und Missionen, die in der Tradition angelsächsischer Nonkonformisten standen, eingeflossen: Es gibt keine wahre Religionsfreiheit ohne das Recht, die bisherige Religion zu wechseln. 

3 Menschenrechte

Foto Human Rights Watchdog

Bei den 1948 geführten Verhandlungen der Vereinten Nationen war das Verb „wechseln“ (change) das Reizwort, das starken Widerstand hervorrief. Vor allem Saudi-Arabien lehnte das Recht zur Konversion (Apostasie im Islam) ab und enthielt sich bei der Schlussabstimmung über den Text der AEMR der Stimme. Doch diese Erklärung der Menschenrechte ist kein juristisch verbindlicher Text, der vor Gericht eingeklagt werden kann. 

Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde 1950 erstmals in Europa ein völkerrechtlich verbindlicher Grundrechteschutz geschaffen, der von Jedermann in Europa einklagbar ist. In Artikel 9 hat diese Erklärung die Religionsfreiheit in vergleichbarer Weise wie die AEMR formuliert und das Stichwort „wechseln“ bewusst beibehalten. Auf der Grundlage der EMRK hat nun der Europäische Gerichtshof seine für Europa verbindliche Rechtsprechung zur Religionsfreiheit weiterentwickelt. 

In Deutschland stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einem Asylverfahren fest, ob jemand internationalen Schutz benötigt. Man könnte nun denken, dass in Europa, dem sog. „christlichen Abendland“, das Vorzeigen einer Taufbescheinigung einer Kirche ein völlig ausreichender Beweis für einen solchen unter Schutz gestellten Religionswechsel ist. Aber das ist ein Irrtum. Die Kirche, die tauft und damit die Mitgliedschaft gewährt, vollzieht die Taufe je nach ihren eigenen Glaubensgrundsätzen. Der Staat, der Asyl gewährt und Missbrauch wehren muss, behält sich vor, eigene Kriterien zur Überprüfung eines echten Religionswechsels zu entwickeln. Der Religionsflüchtling muss also nicht nur die Kirche von seiner Konversion überzeugen, um getauft zu werden, er muss als Asylbewerber auch den Staat (noch einmal) vollumfänglich überzeugen können, dass er die Betätigung seines christlichen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine neue religiöse Identität zu wahren. Ein Konflikt zwischen Kirche und Staat ist also vorprogrammiert.

In einem neuen Lagebericht zur Situation von Christen im Iran hat das BAMF u. a. notiert, dass es für die Asylanerkennung einen Unterschied macht, ob ein Christ im Iran seinen Glauben nach außen sichtbar (missionarisch) lebt oder eher zurückhaltend als sog. Taufscheinchrist. 

Gewiss ist schon allein die Formulierung „Taufscheinchrist“ im Text des BAMF zu kritisieren, wird doch hier eine sprachliche Verflachung einer der zentralen kirchlichen Handlungen aufgegriffen, die der Eigenbedeutung der Taufe nicht gerecht wird. So wird heute sprachlich alles mögliche „getauft“, wie zum Beispiel Schiffe, obwohl man wissen müsste, dass das Wort taufen „Immersion“ – eintauchen - bedeutet. Vor allem aber ist zu fragen, wie das BAMF bzw. die Verwaltungsgerichte in einer solch kurzen Zeit der Anhörung, die für jeden Asylsuchenden eine besondere Stresssituation ist, die Identitätsstiftende Echtheit einer Glaubensentscheidung deutlicher erkennen können als die Kirche in der lebensnahen Begleitung der Bekehrten. 

Kirchen und Staat müssen miteinander ins Gespräch kommen, wie jede Seite Flüchtlingskonversionen und die daraus resultierenden Grundrechte würdigen können. Denn hier wird die zentrale Frage des Glaubens berührt: Wie wird man Christ? Vielleicht deckt diese staatliche Praxis, zur vollen Überzeugung einer echten Glaubensentscheidung kommen zu wollen, nur umso deutlicher die gegenwärtige Krise der Kirchen im früher sog. „christlichen Abendland“ auf.

Zur Zeit des Kirchenkampfes im Dritten Reich weckte Dietrich Bonhoeffer mit seinem 1937 geschriebenen Werk „Nachfolge“ seine Kirche auf: „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. ... Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird. (…) Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge.“ Bonhoeffers kritischer Appell ist heute, da das BAMF meint, Kirchenmitglieder als „Taufscheinchristen“ erkennen zu können, noch einmal neu in ihrem ganzen Ernst hören: „Ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus.“

Würden wir von den Evangelien ausgehen, um diese Frage „Wie wird man Christ?“ zu beantworten, dann stoßen wir dort am Anfang auf die gleichlautende Botschaft Johannes des Täufers und Jesu: „Ändert euer Leben! Gott wird jetzt seine Herrschaft aufrichten und sein Werk vollenden!“ (Mat. 3,2; 4,17) Und als Jesus am Meer Galiläa zwei Brüder sah, die ihre Netze auswarfen, konkretisierte er diesen Ruf mit der persönlichen Aufforderung: „Auf! Hinter mir her! Ich mache euch zu Menschenfischern.“ Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. Das ist der erste Religionswechsel in der Geschichte der Christenheit! Christlicher Glaube ist Nachfolge Jesu, auch wenn dies in der Tat in der Kirchengeschichte immer wieder verdunkelt wurde. 

Aber die Asylrechtsprechung hält noch ein schärferes Kriterium für die Überprüfung eines echten Religionswechsels bereit: Sie fragt, „ob die Befolgung einer gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist.“ Um in Europa als Flüchtlinge anerkannt zu werden, müssen Konvertiten aus dem Islam ihre persönliche Bereitschaft zum Martyrium um Jesu willen zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen können. Das ist eine Messlatte, die keine Kirche Europas an ihre Christen anzulegen wagt. Mit diesen verschärften Kriterien kann das Recht, seine Religion zu wechseln, unterlaufen werden. Die Resolution des Bundesrates des BEFG vom 1. Juni 2019 fordert deshalb zu Recht, dass das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht ausgehöhlt werden darf. 

Edgar Lüllau

Leitsatz des Bundesverwaltungsgerichts zur Asylrechtsprechung vom 25.08.2015 :

„Macht ein Asylbewerber geltend, ihm drohe wegen Konversion zum Christentum religiöse Verfolgung, sind die Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung, ob die Befolgung einer gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, nicht an die Beurteilung des Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden, der Taufe des Betroffenen liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde.“